Milchflasche mit schwarzer Milch milchlos.de Titelseite des Buches zur Milch

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Milch, als Gift für Fische

Wir erleben zur Zeit eine Kakophonie in Sachen Milch.

Wütende Bauern, wütende Bürger, hilflose Politiker.

Hilflos deshalb, weil Politiker wie Funktionäre noch immer das Mantra vom freien Agrarmarkt vor sich her tragen, Wettbewerb und Deregulierung als das Alpha und Omega ihres Tuns begreifen. Das hatten sie gerade in der Agrarmarktreform 2003 beschlossen. Und was man da beschlossen hat - Aufhebung der Regulierungen, speziell der Quoten - das soll plötzlich 2009 nicht mehr gelten? So schnell können sich Politiker nicht umstellen.

Gerade die Agrarmärkte haben jedoch jahrzehntelang gezeigt, dass aufgrund weltweit unterschiedlichster Produktionsbedingungen das freie Spiel der Kräfte reine Fiktion ist und wenn überhaupt, sich nur in bestimmten Segmenten erfolgreich anwenden lässt.

Jeder Staat, jede Region würde sich dem Risiko der Selbstvernichtung aussetzen, würden nicht die Grundnahrungsmittel regional produziert und konsumiert.

Um Ernährungssicherheit zu gewährleisten ist es geradezu notwendig, sich von der Theorie des komparativen Vorteils zu verabschieden. Die würde nämlich in aller Konsequenz bedeuten, dass die teure EU-Milchproduktion praktisch zum erliegen käme und wir unsere Milch aus Neuseeland oder ähnlichen Regionen beziehen müssten. Denn die Neuseeländer produzieren Milch allemal besser und billiger als wir.

Hier ein Vergleich, stark vereinfacht, aber auf den Punkt gebracht.

  Neuseeland Europäische Union
Herdengröße einheitliche Herdengrößen ca. 300 Milchkühe pro Betrieb uneinheitliche Herdengrößen ca. 20 - 500 Milchkühe pro Betrieb
Jahresleistung einer Kuh im Durchschnitt 4000 kg 8000 kg
Futterkosten keine, da Weidewirtschaft muß zugekauft werden, etwa 12 Cent pro kg
Arbeitskosten ca. 10 Cent pro kg ca. 10 Cent pro kg
Fixkosten, Restrukturierungskosten, Unternehmensgewinn, ca. 10 Cent pro kg ca. 10 Cent pro kg
Gesamtkosten ca. 20 Cent pro kg ca. 32 Cent pro kg

Der eklatante Preisunterschied zwischen der neuseeländischen Milch und der EU-Milch beruht also hauptsächlich auf einem Faktor, dem Futter.

Die Neuseeländer sind nämlich nicht in die Produktion von Hochleistungskühen eingestiegen, die Kraftfutter benötigen, also mit Proteinen angereichertes Futter. Sie lassen ihre Kühe quasi kostenlos von der Weide ihr natürliches Futter fressen! Den Nachteil, dass ihre Kühe dann nur 4000 kg im Jahr geben, die europäischen aber 8000 kg können sie leichten Herzens in Kauf nehmen, denn sie verfügen über genügend Weideland um darauf sehr viele Kühe weiden zu lassen. Die artgerechte Fütterung der neuseeländischen Kühe und ihre niedrigere Milchleistung hat ansonsten nur positive Auswirkungen:

Die Kühe sind weniger krankheitsanfällig, können länger gehalten werden und produzieren aufgrund des artgerechten Futters eine qualitativ höherwertige Milch als Hochleistungskühe, z.B. mit mehr Omega-3-Fettsäuren und Vitamin-D.

Und das alles zu den niedrigsten Preisen weltweit!

Europäische Hochleistungskühe müssen dagegen mit Soja-Proteinen, die aus Nord- und Südamerika eingeführt werden zu ihren Hochleistungen gefüttert werden. Aufgrund der hohen Milchproduktion sind diese Kühe krankheitsanfällig, benötigen in großem Umfang medikamentöse und tierärztliche Versorgung und liefern deshalb qualitativ schlechtere Milch als artgerecht gehaltene Kühe.

Ein solches Produktionsregime ist teuer und nur durch Subventionen aufrecht zu erhalten.

Wer also meint, die europäische Milchproduktion dem freien Wettbewerb auf dem Weltmarkt aussetzen zu müssen, wird mit neuseeländischen Preisen, die zum großen Teil den Weltmarktpreis bestimmen, niemals mithalten können. Die komparativen Kostenvorteile anderer Weltregionen sind so deutlich, dass wir mit unserer Milchproduktion einpacken könnten.

Da dies aber offensichtlich nicht gewollt ist, gibt es nur zwei alternative Lösungswege:

1. Wir senken unsere Kosten radikal, indem wir ebenfalls auf Weidewirtschaft und niedrigere Milchleistung pro Kuh umstellen. Das hätte jedoch zur Folge, dass wir mangels Weideland, erheblich weniger Milch produzieren würden als heute. Diese echte Frischmilch würde regional produziert und konsumiert, wäre teuer – die Bauern könnten davon wieder leben – aber qualitativ hochwertig. Alle anderen Milchprodukte würden neben der einheimischen Rohmilch zum anderen Teil aus importiertem Milchpulver hergestellt.1

Der Milchproduktekonsum würde sich insgesamt auf ein gesundheitlich erträgliches Maß reduzieren.

Ein Teil unserer Milchindustrie müsste allerdings dicht machen.

Diesem Weg diametral entgegen gesetzt ist die

2. Alternative, die totale Industrialisierung.

Hier werden Kosten durch noch intensivere Haltungsbedingungen, noch mehr Massenproduktion und weiterem Wachstum gesenkt.

Das sieht dann konkret so aus: Unter 300 Milchkühen pro Betrieb geht gar nichts mehr, angestrebte Größe 500; reine Stallhaltung, die Milchleistung pro Kuh wird auf durchschnittlich 15.000 kg pro Laktation gesteigert. Das benötigte Futter dazu wird weltweit, vornehmlich weiter aus Südamerika, zugekauft. Die Kraftfutterverwertung der Kühe wird durch Spezialnahrung und permanentes Monitoring verbessert. Kühe sind nur noch – auch heute schon – reine Milchproduktionsmaschinen!

Die Konsumenten werden durch Werbekampagnen zur Ausweitung ihres Milchproduktekonsums gedrängt, Schulmilchprogramme ausgeweitet, neue Absatzmärkte im Ausland gesucht und die zwangsläufige Überproduktion in Form von Butter und Milchpulver in Entwicklungsländer verkauft.

Die Milchindustrie etabliert sich auf dem Weltmarkt und wächst.

Trotz Kostensenkung durch bisher unglaubliche Massenproduktion, ist in diesem Modell nicht gesichert, dass zu Weltmarktpreisen, also zu Neuseeländischen produziert werden kann. Subventionen werden weiter erforderlich sein, schon allein wegen des Futters, das über Ozeane hinweg transportiert werden muss und der Volatilität der Futter- und Transportpreise unterliegt.

Sämtliche Kleinbetriebe, zwischen 20 und 300 Milchkühen, werden vom Markt verschwinden müssen. Die Landschaftspflege, die sie betrieben haben, muss zukünftig durch Subventionen sicher gestellt werden.

Die 2. Alternative ist die von der EU und ihren Mitgliedsregierungen eindeutig favorisierte und gleichzeitig die Teuerste.

Denn während in beiden Alternativen Arbeitsplätze wegfallen, in der ersten industrielle, in der zweiten bäuerliche, benötigt die erste keine Subventionen, während die zweite subventionsintensiv ist.

Das Programm ist klar, die kleinen konventionellen Betriebe sollen vom Markt verschwinden, sie stören nur in diesem Modell, das die Zukunft sein soll.

Mit allen Problemen, die die Hofaufgabe mit sich bringt, lässt man die Bauern alleine, ja man sagt ihnen noch nicht einmal die Wahrheit, sondern laviert was das Zeugs hält. Dass die Betroffenen in einer solchen Situation –streiken– ist völlig normal und legitim. Und dass ein Oberlandesgericht den Milchstreik der Bauern – Milchlieferboykott an Molkereien – als Verstoß gegen das Kartellrecht wertet, während die Preisabsprachen der Monopolisten im Handel angeblich nicht greifbar sind, mutet schon kafkaesk an. Wo sind wir, dass den Bauern auch noch ihre einzige Möglichkeit Druck auf die Politik auszuüben genommen wird? Warum sollen sich Selbständige nicht zusammenschließen dürfen und kollektiv Aktionen beschließen um ihre Interessen durchzusetzen? Schließlich muss auch das Wettbewerbsrecht verfassungskonform ausgelegt werden.

Wer erkannt hat, dass europäische Milchproduktion niemals auf Weltmarktpreisniveau stattfinden kann – um es ökonomisch auszudrücken: wegen der komparativen Nachteile – der kann nicht ernsthaft glauben, dass eine subventionslose industrielle Milchwirtschaft unter Weltmarktbedingungen möglich sein wird.

Die Politik muss endlich offen sagen, dass sie sich in Richtung Alternative 2 bewegen will.

Ein Mittelweg, quasi eine 3. Option, wäre die weitgehende Erhaltung des Status quo, d.h. Quotierung der Milcherzeugung in Höhe des realen Binnenkonsums. Keine auf Expansion gerichtete Milcherzeugung mehr; keine Ausfuhrerstattungen für Milchprodukte, so dass sich in Entwicklungsländern eine eigene, nationale Milchproduktion etablieren kann, sofern sie das für nötig erachten.

Dieses Modell schmeckt der Ernährungsindustrie selbstverständlich nicht, denn damit lässt sich kein Weltmarkt erobern. Wider jede Vernunft, wird trotz abnehmender Bevölkerung in den Industrieländern, also abnehmendem Konsum und den problematischen Milchmärkten in den Entwicklungsländern, von großem Marktpotential und auszubauenden Milchmärkten geträumt. Dabei ist ein großer Teil der Bevölkerung in den Entwicklungsländern laktoseintolerant und einfach nicht fähig Milch überhaupt oder in größeren Mengen zu vertragen.

Politiker, industriegläubig, wie sie nun mal sind, hinterfragen diese Positionen der industriellen Milchlobbyisten kaum und so kommt es, dass Politiker durch die Milchstreiks aufgeweckt, mittlerweile verunsichert feststellen müssen, dass es in Sachen Milch die verschiedensten, unterschiedlichen Interessen gibt. Und weil sie nicht wissen wie sie die unter einen Hut bringen sollen, bleibt es derweil beim hilflosen Agieren.

1Das hört sich schlimmer an als es tatsächlich ist, denn auch unter heutigen Produktionsbedingungen wird in der Fertigung von Käse und Joghurt ect viel Milchpulver eingesetzt, bzw. sind die technischen Abläufe so gestaltet, dass die Milch ein Kunstprodukt wird, in Einzelteile separiert, die je nach Produkt wieder zusammengefügt werden. Insofern wäre die Herstellung von Milchprodukten aus Milchpulver weder neu noch als –unnatürliche Herstellung– abzulehnen; die haben wir auch sowieso. Zurück

Letzte Änderung am 04.12.2011

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