Unabhängig wie man zu Todesurteilen steht, in diesem Fall sind sie jedenfalls nicht gerechtfertigt.
Die Verurteilten, auch die anderen Strafen – lebenslang, hohe Haftstrafen und Geldbußen – büßen für das Laissez faire der chinesischen Regierung.
Denn
erstens ist eine nennenswerte Lebensmittelkontrolle in China praktisch abgeschafft, die Firmen kontrollieren sich selbst
und
zweitens ist Melamin in verschiedensten Lebensmitteln eingesetzt worden und das bedenlenlos, meist ohne Kenntnis der verheerenden Wirkung von Melamin. Wie übrigens überall auf der Welt diese Kenntnis fehlte.
Die in einem solchen Umfeld an vorderster Front Agierenden an den Pranger zu stellen und sogar zum Tode verurteilen zu lassen, ist ein zusätzlicher menschenverachtender Afront in Anbetracht der generellen menschenverachtenden Nachlässigkeit in Sachen Lebensmittelsicherheit in China.
Hinzu kommt, dass der Skandal wegen der olympischen Spiele in Peking im letzten Sommer quasi amtlich verschoben wurde. Denn der neuseeländische Miteigentümer der betroffenen Milchfabrik SANLU, die Fonterra Company, hatte im Sommer 2008 mehrmals vergeblich versucht die chinesische Regierung zu warnen. Die stellte sich, vermutlich um das olympische Flair nicht zu gefährden, taub.
Die Folgen dieser regierungs-amtlichen Untätigkeit auf einzelne abzuwälzen, ist zynisch.
Wer beruflich mit Milch zu tun hat, könnte, einmal - statt über gefallene Milchpreise zu jammern - gegen die Todesurteile und die anderen Urteile protestieren und sich dafür einsetzen, dass die chinesiche Regierung die Kosten von Krankenhausbehandlungen tatsächlich übernimmt und Schadensersatz an die Betroffenen zahlt.
Gerade auch deshalb, weil diejenigen, die gerne Ihre Milchmaschinen und Milchpulver nach China verkaufen, um den Milchkonsum dort anzukurbeln, aus den chinesichen Milchverhältnissen beträchtliche ökonomische Vorteile ziehen.
Weder der Milchindustrieverband, noch der Bauernverband haben bisher gegen die Urteile bei der chinesichen Regierung protestiert.
Wer also Bauchschmerzen bezüglich der Menschenrechte in China generell und der Melaminurteile im besonderen verspürt, der schreibe an:
Der Prozeß hat ein pikantes Detail ans Tageslicht gefördert, nämlich dass es auch einen EU-Grenzwert für Melamin in Lebensmitteln gibt. Was um so erstaunlicher ist, als zunächst von offizieller Seite so getan wurde, als sei Melamin in Lebensmittlen bei uns völlig undenkbar. Als gezielter Zusatz in Lebensmittel ist Melamin zwar unzulässig, jedoch steckt es in Verpackungsmaterialien, von denen es in die Lebensmittel übergehen kann. Daher mußte ein Grenzwert festgesetzt werden.
Der europäische Melamin-Grenzwert beträgt 2,5 mg pro Kilogramm eines Lebensmittels.
Die FDA in den USA setzte kürzlich schnell einen Grenzwert fest, als Untersuchungen ergaben, dass Melamin auch in US-Lebensmitteln vorkommt.
Die zu lebenslanger Haft verurteilte SANLU-Chefin Tian Wenhua hatte im Prozeß erklärt, dass sie -nach Auftreten der ersten Krankheitsfälle Erkundigungen eingezogen habe und von einem Fonterra-Direktor ein Dokument erhalten habe, das die Grenzwerte der europäischen Union für Melamin in Lebensmitteln enthielt. Diese Darstellung wurde von Fonterra bestätigt, allerdings weigert sich die Firma, den Namen des betroffenen Direktors preiszugeben. Frau Wenhua hat mittlerweile Berufung gegen ihre Verurteilung eingelegt und demonstriert damit, dass sie sich nicht zum Sündenbock abstempeln lassen will.
Hintergrund der ganzen Affäre ist u.a. die Tatsache, dass die meisten Chinesen unverdünnte Milch nicht vertragen - sie sind laktoseintolerant - und daher die Wässerung von Milch gängige Praxis ist. Wenn unter diesen Umständen ein modernes Milchmanagement bestimmte Eiweißgehalte vorschreibt, dann ist es naheliegend, diese durch Zusätze zu erreichen. Dazu wurde Melamin benutzt, von dem in der Breite jedenfalls nicht bekannt war, welche Schädigungen es hervor ruft.
Der neuseeländische Milchmulti Fonterra war bis letzten Herbst mit 43 % Anteilen bei der chinesischen SANLU-Milchfabrik beteiligt. Von SANLU nahm der Melamin-Skandal seinen Ausgang. Die Neuseeländer haben sich aus der Firma zurückgezogen und SANLU ist mittlerweile in Konkurs.
Letzte Änderung am 04.12.2011