Die Debatte um eine kanzerogene Wirkung von Milch durch ihren Gehalt an IGF I (insulinähnlicher Wachstumsfaktor), dürfte durch zwei neue Studien belebt werden.
Das klassische Argument derer, die IGF I in der Milch und in Milchprodukten für unschädlich halten, besteht darin, dass sie behaupten, Eiweißhormone würden schon im Magen gespalten und könnten deshalb den Darm nicht mehr biologischaktiv erreichen.
Die Gegenmeinung lässt an der erstmaligen Spaltung bzw. Denaturierung von Eiweißen im Magen auch keinen Zweifel. Sie vertritt jedoch die Auffassung, dass die Eiweißspaltung im Magen noch nicht vollständig erfolge und einzelne Peptide durchaus noch biologisch aktiv sein könnten. Häufig würde das Säuregleichgewicht im Magen durch die verschiedenen aufgenommenen Nahrungsmittel gestört. Das führe dazu, dass Eiweiße auch ungespalten den Magen passierten und den Darm erreichten. Bei der Milch komme hinzu, dass deren Eiweiße durch Homogenisierung im Milchfett und durch die Säuerung in Kaseinen verkapselt den Magen passieren könnten.
Letztere Auffassung, dass IGF I doch unbeschadet den Darm erreicht und anschließend die Blut-IGF-I-Konzentration erhöht, wird bestätigt durch die Ergebnisse zweier neuer Studien, die jedoch einen ganz anderen Hintergrund hatten.
In Dänemark wollte man feststellen, ob eine Ernährung mit einem hohen Gehalt an tierischen Proteinen das Größenwachstum von männlichen Kindern vor der Pubertät fördern könnte. Da IGF I beim Wachstum in der Jugend eine herausragende Rolle spielt, verabreichte man den Kindern bestimmte fettarme Milch- und Fleischportionen, zusätzlich zu ihrer normalen Kost. Soweit man weiß, kommt IGF I nur im Tierreich vor, nicht jedoch in Pflanzen. Und es kommt sowohl in Fleisch als auch in Kuhmilch vor.
Bei der Kindergruppe, die fettarme Milch konsumiert hatte, konnte ein Anstieg der Serum-IGF-I-Konzentration von 19 % und des Serum-IGFBP-3 von 13 % verzeichnet werden. Bei der Gruppe, die fettarmes Fleisch konsumiert hatte, ließ sich überhaupt kein Anstieg der Serum-IGF-I und der IGFBP-3-Konzentrationen feststellen.
Eur J Clin Nutr. 2004 Mar 31 PMID : 15054433 (PubMed - indexed for Medline)
Dieses Ergebnis dürfte diejenigen, die Milch in Bezug auf IGF I für bedenklich halten, entscheidend bestärken.
Warum erhöht Milch die IGF-I-Konzentration und Fleisch nicht?
Wie aus der EU-Studie zu BST hervorgeht, ist IGF I relativ hitzestabil. Erst ab ca. 79 °C denaturiert es. Da normale Trinkmilch, sofern es sich nicht um H-Milch handelt, pasteurisiert ist, wird sie maximal auf 74 °C erhitzt. Das bedeutet, dass in frischer Trinkmilch, egal welchen Fettgehalts, die IGF - wovon es verschiedene Varianten gibt - biologisch aktiv vorhanden sind. Dasselbe dürfte auf Käse zutreffen, dessen Ausgangsmilch ebenfalls nicht sehr hoch erhitzt werden kann. Alle anderen Milchprodukte werden heutzutage in der Regel so hoch erhitzt, dass die IGF inaktiviert werden dürften.
Beim Fleisch verhält es sich ähnlich. Wir essen kaum rohes, sondern gekochtes oder gebratenes Fleisch. Die dabei erreichten Temperaturen dürften ausreichen, den IGF ihre biologische Aktivität zu nehmen.
Eine weitere Studie, wenn auch an Ratten durchgeführt, bestätigt die erhebliche Erhöhung der Blutkonzentration von IGF I durch die Fütterung fettreduzierter Milch.
Int J Cancer. Jul 1; 110(4):491-6 PMID: 15122580 (PubMed - indexed for Medline)
Letzte Änderung am 04.12.2011