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Sommer–Blues I

Absatzflaute bei Milch

oder

wie man versucht die des Milchkonsums Müden und Überdrüssigen wieder an die Kühlteken zu locken.

Der Milchproduktekonsum im westlichen Europa und den USA, in Australien und Neuseeland, den klassischen Milchländern also, ist rückläufig. Das ist allgemein bekannt.

In der Milchbranche wird diese Tatsache beschönigend mit “stagnierendem Milchkonsum„ umschrieben. Mit dem hiesigen Konsumrückgang wird auch die aggressive Expansionsstrategie nach Asien und Afrika begründet, obwohl man nur zu gut weiß, dass die meisten Menschen dort Milchprodukte, besonders die industriell bearbeiteten, nicht vertragen. Aber unsere Überschüsse, die zur Zeit wegen zu hoher Milchquoten wieder anfallen, müssen weg und sei's im Gedärm der Ärmsten dieser Welt. Jubelnd heißt es: “Hier werden jährlich viele neue Milchtrinker geboren…„

Sucht man nach Zahlen um wieviel denn der Milchkonsum in unseren Breiten tatsächlich zurückgegangen ist, stößt man auf ein schwarzes Loch. Verständlich, denn darüber spricht und schreibt man nicht. Zu diesem Thema gibt es nur ab und zu einen Hinweis, wie hier aus dem Jahr 2009:

Oder im April 2012 im Spiegel zum Rückgang des Molkereiprodukte-Anteils bei Aldi.

“…Das alles zeigt: Der Discounter steckt in einem Dilemma. Bietet er künftig Markenware an, verwässert er die eigene Marke. Lässt er es, verliert er weiter Kunden. Schon heute kämpfen Aldi Süd und Aldi Nord mit stagnierenden Umsätzen – und das vor allem in den Bereichen, die weh tun: So soll der Verkauf wichtiger Molkereiprodukte wie Milch, Butter und Joghurt um acht Prozent zurückgegangen sein, auch beim beliebten Fruchtsaft verliert Aldi dramatisch Kunden…„

Was keiner sagt, ist aber der Statistik zu entnehmen: Der Umsatzrückgang beträgt etwa 3 bis 4 Milliarden Euro gegenüber den Jahren 2007 und 2008, ist den Zahlen des Milchindustrieverbandes (MIV) – Geschäftsbericht 2010/2011 S. 74 zu entnehmen.

Es geht also um Milliarden bei der Absatzflaute!

Und die ist nicht nur dem leichten Bevölkerungsrückgang oder Preiserhöhungen geschuldet, sondern vielmehr einem anderen Konsumverhalten: Immer mehr Menschen essen gar keine oder weniger Milchprodukte aus gesundheitlichen Gründen!

Das ist unsere Erklärung, für die wir natürlich keine Beweise vorlegen können, solange die Tatsache, dass der Milchkonsum rückläufig ist, nicht wirklich diskutiert wird und die dazu gemachten Analysen nicht veröffentlicht werden.

Wie schwer die Nahrungsmittelindustrie von der Negativ–Stimmung gegenüber Milchprodukten getroffen ist, zeigt die Medienkampagne, die seit einiger Zeit im Gange ist und in deren Hintergrund, als treibende Kräfte nationale und internationale Milchlobbyverbände und die großen Namen der Milchindustrie stehen.

Konnte man über die Milchdiät und einige andere pseudowissenschaftlich daher kommende Artikel noch lächeln, so verschlug es uns zunächst die Sprache über die Plattheit und Dreistigkeit der neuesten Milch-Propaganda.

Ein “Milch–Inhaltsstoff schützt vor Übergewicht„ so die Schlagzeile

oder

A miracle molecule hiding in milk

Viele große nationale und internationale Blätter beteiligten sich an der Verbreitung des wissenschaftlich verbrämten Nonsens.

Die meisten Artikel nutzten auch noch offensichtlich dieselbe Quelle mit ähnlicher Bebilderung, nämlich einem Glas Milch; so glichen sich die Aussagen über Sprachgrenzen hinweg.

Die Wundersubstanz, der auch als neues Vitamin gehuldigt wird, heißt Nicotinamid-Ribosid (NR), von der man bisher noch nichts gehört hat und schon gar nicht als Milchbestandteil. Das gab uns zu denken und tatsächlich, wir fanden ein Interview mit dem führenden Wissenschaftler der Studie, der da doch sagte, dass man im Moment die Konzentration von NR in Milch noch nicht bestimmen könne und dass er vermute, dass NR in vielen anderen Lebensmitteln auch enthalten sei. Außerdem wurde von den Wissenschaftlern betont, dass die Gewinnung der Substanz kompliziert und teuer sei.

Das hat uns stark beeindruckt: Eine Substanz, deren Menge in Milch nicht bestimmbar ist und die mit Sicherheit in anderen Lebensmitteln auch vorkommt – wie z.B. in Bier – und deren Synthetisierung aufwendig und teuer ist, wird uns also als neues Schlankheitsvitamin verkauft.

Als ob dieser Zumutung noch nicht genug, nahm offenbar kein Journalist Anstoß daran, dass die Studie auf “Tier verbrauchenden„ Tierversuchen beruht, bei denen die Tiere abartig hohe Dosen der Substanz verabreicht bekommen hatten – 400 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht – die durch einen Lebensmittelkonsum niemals zustande kommen. Für einen 60 kg schweren Menschen würde eine äquvalente Menge 24 Gramm NR bedeuten, also völlig außerhalb einer vernünftigen Relation, auch und vor allem für ein Nahrungsergänzungsmittel. Denn um letzteres ging es in der Studie. Ein Zusammenhang mit Milch wurde konsturiert, da man NR aus der Milch synthetisiert hatte. Man hätte es auch aus anderen Lebensmitteln extrahieren können, aber ein Studienleiter, der auf einem Lehrstuhl der Firma Nestlé in der Schweiz sitzt, weiß natürlich was erwartet wird.

Nestlé ist der Welt größter Nahrungsmittelkonzern und größter Milchprodukteproduzent. Da versteht es sich von selbst, dass aus einer Substanz, die in Spuren häufig in der Natur vorkommt, ein Milch–Schlankheits–Vitamin wird oder sehen wir das zu eng?

Kaum hatten wir diese durchsichtige Milchpropaganda entzaubert, wurden wir von prähistorischen Milchscherben aus Lybien aufgeschreckt. Aber davon wollen wir erst im 2. Teil des Sommer–Blues berichten. Bis dahin wünschen wir allen Leserinnen und Leseren schöne, warme und frohe Sommertage!

Letzte Änderung am 30.06.2012

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