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Laktoseintoleranz
und die neue Qualität der Ignoranz

In den letzten Monaten häuften sich Presseartikel, sowohl im deutschen Sprachraum, als auch im Englischen, über Laktoseintoleranz und/oder Nahrungsmittelintoleranzen und -allergien. Was dagegen zu tun oder wie damit zu leben sei wurde erörtert. Die meisten Artikel waren ernst gemeint, manche satirisch, was auch bei uns Lacheffekte auslöste.

Wie ein roter Faden durchzog alle Veröffentlichungen der Tenor:

Wir sind nicht wirklich verblüfft.

Die Argumentation ist seit gut 10 Jahren dieselbe und so falsch wie damals.

Ein Minifortschritt ist insofern zu verzeichnen, als damals das Problem nur in der Laien- Fachpresse erörtert wurde, während die jetzige Veröffentlichungs-Rally das Wall-Street-Journal, Times, CNN, Süddeutsche Zeitung, Der Standard und ähnliche Publikationsorgane erreicht hat.

Auslöser des ganzen ist die NIH (National Instituts of Health), die ein Konsensus-Statement zu Laktoseintoleranz und Gesundheit abgeben hat.

Die NIH gehört zum US-Gesundheitsministerium, die in Form von Konferenzen mit Wissenschaftlern der verschiedensten medizinischen Disziplinen und von verschiedenen Institutionen herausragende Themen der Volksgesundheit diskutiert und Statements und Leitlinien für die Allgemeinheit sowie für Gesundheitsverantwortliche erarbeitet.

Die NIH beschäftigt sich pro Jahr mit etwa 3 Themen, zu denen Konsensus-Statements abgegeben werden. Diese haben zwar keine rechtliche oder die Gesundheitspolitik bindende Wirkung, wegen ihrer Thematik, die in der Regel größere Bevölkerungsgruppen betrifft, von allgemeiner Bedeutung ist und schwerwiegende Gesundheitsprobleme anspricht, wird ihnen jedoch größere publizistische Aufmerksamkeit zuteil.

Laktoseintoleranz ist also eines dieser Themen im Jahre 2010 in den USA. Und natürlich, im Anschluss daran, auch bei uns.

Das könnte im Prinzip als Fortschritt anzusehen sein, wenn man inhaltlich einen Schritt weiter gekommen wäre, was jedoch nicht der Fall ist. Außer der etwas merkwürdigen Aussage, dass Laktoseintoleranz ein real existierendes und bedeutendes klinisches Syndrom sei, ist die Darstellung nach alt bekanntem Muster gestrickt, verharmlosend und am Schlimmsten, und das ist neu, sie spricht den Betroffenen ihr Urteilsvermögen über ihre Krankheitssymptome ab, in dem sie die Selbstdiagnose als meistens falsch und dann gefährlich darstellt.

Die Angst, dass selbst diagnostizierte Laktoseintoleranz zur Abstinenz von Milchprodukten führt, mit der Konsequenz einer angeblich zu niedrigen Kalziumzufuhr und daraus resultierenden Gesundheitsproblemen, zieht sich durch das gesamte Statement. Mangelnder Milch-Kalzium-Input wird zum großen Gesundheitsproblem stilisiert.

Gesundheitsverantwortliche in den multi-ethnischen USA haben offensichtlich bemerkt, dass sich die Kenntnis von Milchunverträglichkeit in den betroffenen Bevölkerungskreisen herumgesprochen hat. Betroffene gingen oft dazu über unnötigerweise auf Milchprodukte zu verzichten, so das Hauptargument. Und häufig seien diejenigen, die glauben laktoseintolerant zu sein, es in Wirklichkeit nicht.

Ob die auf Milchprodukte Verzichtenden in der Folge gesünder oder kränker sind als vorher, wird in dem Statement nicht einmal angesprochen, obwohl genau dieses das eigentlich spannende und interessante Thema ist und man dazu Studien oder Befragungen leicht hätte durchführen können.

Nur am Rande wird die Frage angeschnitten, ob Betroffene, die sich milchfrei ernähren überhaupt gesundheitliche Probleme haben? In diese Richtung müsse auch geforscht werden, aber es gäbe zu wenige Probanden.

Nun, vielleicht dürfen wir der NIH-Konferenz unter die Arme greifen mit dem Hinweis auf Milliarden Asiaten und Afrikaner, die noch heute weitgehend milchfrei leben und dabei gesund sind.

Das gilt sogar für weiße Kaukasier, wie eine neue Studie belegt, die merkwürdigerweise etwa zeitgleich in einer amerikanischen Zeitschrift veröffentlicht wurde. Da hatten Laktoseintolerante zwar einen niedrigeren Kalziumspiegel im Blut als Laktosetolerante, was sich aber auf ihre Frakturrate oder ihre Knochendichte nicht auswirkte. Die war in allen Gruppen gleich.

Das verstärkt den fatalen Eindruck, dass die NIH-Statements Industrieinteressen bedienen und Teil einer umfassenden Strategie der Milchindustrie sind, dem aus gesundheitlichen Gründen nachlassenden Milchkonsum entgegen zu wirken.

Letzte Änderung am 04.12.2011

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