In Neuseeland und Australien wird in der Öffentlichkeit, wie innerhalb wissenschaftlicher Kreise und der Milchindustrie über die gesundheitlichen Risiken von A1-Milch debattiert.
Der Konsum von A1-Milch wird von einigen Agrarwissenschaftlern, wie auch Medizinern mit Zivilisationserkrankungen wie Diabetes Typ I, Herzerkrankungen, Autismus und Schizophrenie in Verbindung gebracht.
Die Eiweiße der Kuhmilch bestehen zu etwa 80 % aus Kaseinen. Die zweitgrößte Fraktion dieser Kaseine sind die beta-Kaseine.
In einem Liter Milch sind etwa 10 g beta-Kasein enthalten.
Es gibt verschiedene Varianten davon. Die hauptsächlich in Kuhmilch vorkommenden Varianten sind beta-Kasein A1 (A1-Milch) und beta-Kasein A2 (A2-Milch).
Die Rinderrasse Holstein-Friesen produziert überwiegend A1-Milch, während andere Arten mehrheitlich A2-Milch produzieren. Sämtliche Rinderrassen sollen ursprünglich A2-Milch gegeben haben. Erst vor etwa 5000 Jahren soll es in Europa zur Mutation von A1-Milch produzierenden Kühen gekommen sein. Indische und afrikanische Kühe, sowie Schafe und Ziegen sollen ausschließlich A2-Milch produzieren.
Die Milch in den USA soll überwiegend A1-Milch sein; in Europa, Neuseeland und Australien ein Gemisch aus A1- und A2-Milch, wobei es Gebiete mit hohem A1-Milchanteil gibt. Island ist ein europäischer Sonderfall, hier soll es fast ausschließlich A2-Milch geben.
Während der Verdauung der Kuhmilchproteine im menschlichen Körper, werden nicht alle Eiweiße in ihre Aminosäurebausteine aufgespalten. Einige der Eiweiße bleiben - nur unzureichend zerlegt - in größeren Aminosäureformationen als sog. Peptide erhalten. Je nachdem aus welchen Aminosäuren sich das Peptid zusammensetzt, kann es entweder völlig harmlos sein oder es kann große biologische Aktivität entfalten, wie z.B. Stoffwechselvorgänge steuern. Solche Aminosäureverbindungen werden daher auch als bioaktive Peptide bezeichnet. Ihre Aktivität kann sich gesundheitlich positiv wie negativ auswirken.
Die beta-Kaseine von A1-und A2-Milch unterscheiden sich nur durch eine einzige Aminosäure (Histidin anstelle von Prolin an Position 67 des Peptids bei A1-Milch). Dieser kleine Unterschied zeigt große biologische Wirkung, indem das beta-Kasein von A1-Milch während der Verdauung zu beta-Kasomorphin 7 umgebaut werden kann, während das beta-Kasein von A2-Milch kein Kasomorphin hervorbringen soll.
Beta-Kasomorphin 7 hat eine stark opioide Wirkung, die bei Menschen gesundheitliche Probleme verursachen kann, sofern dieses Morphin ins Blut gelangt. Insbesondere die o.g. Krankheiten - Diabetes Typ 1, Herzerkrankungen, Autismus, Schizophrenie - werden mit beta-Kasomorphin 7 in Verbindung gebracht.
Milch enthält unabhängig von A1- und A2-Milch weitere bioaktive Peptide auch solche, die während der Verdauung in opioid wirkende Verbindungen umgewandelt werden. Obwohl dies schon seit gut 25 Jahren bekannt ist, sind die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus kaum erforscht.
Die Wissenschaftler, die aufgrund ihrer Studienergebnisse davon überzeugt waren, dass beta-Kasomorphin 7 bei Diabetes Typ 1 und Herzerkrankungen eine Rolle spielt, gingen Ende der 90ger Jahre mit ihren Erkenntnissen an die Öffentlichkeit.
Einer der Wissenschaftler gründete im Jahre 2000 ein Biotechnologieunternehmen, die A2 Corporation Ltd., das DNA-Tests für Kühe zur Unterscheidung von A1- und A2-Milch und dem entsprechenden Stier-Samen, anbietet.
Das A1-Milch-Problem wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als die A2 Corporation den neuseeländischen Milchindustriegiganten Fonterra Corporation Group Ltd. verklagte. Fonterra bringt überwiegend A1-Milchprodukte in den Handel. Die A2 Corporation verlangte von Fonterra ihre Milchprodukte mit Warnhinweisen bezüglich Autismus, Schizophrenie, Diabetes und Herzerkrankungen zu versehen.
Das Verfahren führte juristisch nicht zum Erfolg, jedoch folgte eine öffentliche Debatte in Neuseeland und Australien über gesundheitliche Risiken von A1-Milch und die neuseeländische Regierung gab eine wissenschaftliche Überprüfung der A1-Milch-These in Auftrag. Der sogenannte "Swinburn"-Report wurde der Regierung Mitte 2003 übergeben, aber erst ein Jahr später im August 2004 veröffentlicht.
Wie nicht anders zu erwarten, blieb er neutral, sprach sich weder für noch gegen die A1-Milch-These aus. Der Bericht nannte die These jedoch
"...verblüffend und möglicherweise sehr bedeutend für die Volksgesundheit, wenn sie sich als richtig herausstellt. Sie sollte als seriös betrachtet werden, wobei weitere Forschung nötig ist."
In Neuseeland und Australien ist seit 2003 A2-Milch im Handel, die im Gegensatz zu A1-Milch als gesund vermarktet wird. In Australien erreicht A2-Milch aufgrund massiven Werbeeinsatzes immer mehr Konsumenten. In den USA ist bisher ein Unternehmen auf den Zug aufgesprungen und bietet A2-Milch in Reformhäusern an.
Wir begrüßen es, dass erstmals Vertreter der Agrarwissenschaften und der Medizin öffentlich einen Zusammenhang zwischen Milchkonsum und Zivilisationserkrankungen diskutieren. Positiv ist auch, dass sich die gewonnenen Einsichten im praktischen Handeln niederschlagen, in dem mit Hilfe von DNA-Tests ausschließlich A2-Milch hergestellt werden kann.
Mit den Vertretern der A1-A2-Milch-These sind wir der Meinung, dass die bisher durchgeführten wissenschaftlichen Studien zu ernsthaften gesundheitlichen Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen von bioaktiven Peptiden in der Milch Anlass geben.
Wir halten jedoch die Fokussierung allein auf beta-Kasomorphin 7 als unzureichend. Zwar ist Beta-Kasomorphin 7 nach bisherigem Kenntnisstand das am stärksten opioid wirkende Kasein der Milch. Milchprodukte enthalten jedoch eine Vielzahl weiterer bioaktiver Peptide, entweder frei, oder latent in den primären Proteinen verborgen. Systematische Forschung zu ihrer Wirkung auf den menschlichen Körper und ihr Wechselspiel untereinander ist so gut wie nicht vorhanden. Auch die angeblich gesunde A2-Milch enthält eine Vielzahl bioaktiver Substanzen, die genau so gesundheitlich bedenklich sein können.
Um A2-Milch als gesund zu überhöhen und allein A1- Milch als großes Risiko für bestimmte Krankheiten anzusehen, liegt tatsächlich keine ausreichende wissenschaftliche Forschung vor. Bis diese vorliegt, was noch einige Zeit dauern kann, denn der Mainstream in der Milchwissenschaft ist noch immer auf Unbedenklichkeit von Milchprodukten insgesamt programmiert, muss jede/r selbst entscheiden, was als überzeugend gelten kann oder was nicht.
Wir meinen, dass der Zusammenhang zwischen einigen Zivilisationserkrankungen und Milchproduktekonsum nicht von der Hand zu weisen ist, halten die Unterscheidung allein nach A1- und A2-Milch jedoch für ziemlich willkürlich.
Nach der A1-Milch-These dürfte es z.B. in Indien und Afrika keine Diabetes-Epidemie in den gehobenen Gesellschaftsschichten geben, da dort fast ausschließlich A2-Milch konsumiert wird. Gerade das Gegenteil ist der Fall, die Diabetes- und Adiopsitas-Erkrankungsraten erfreuen sich dort in den Oberschichten eines rapiden Wachstums.
Daher bleibt eigentlich nur, sich in eigner Verantwortung für oder wider Milch als Gesundheitsrisiko zu entscheiden.
Swinburn Report - Beta casein A1 and A2 in milk and human health - Report to New Zealand Food Safety Authority
Professor Keith Woodford: The A2 Milk Debate: Searching for the Evidence
Die Island-Skandinavien-Studie zu Kasomorphinen und Diabetes
PEDIATRICS Vol. 106 No. 4 October 2000, pp. 719-724
Different beta-Casein Fractions in Icelandic Versus Scandinavian Cow's Milk May Influence Diabetogenicity of Cow's Milk in Infancy and Explain Low Incidence of Insulin-Dependent Diabetes Mellitus in Iceland
Pediatrics (ISSN 0031 4005). Copyright ©2000 by the American Academy of Pediatrics
Zum Problem "Milch und Autismus" siehe den entsprechenden Beitrag auf dieser Hompage
Zwei Abstracts:
New Zealand Medical Journal 2003; 116 (1168)
Ischaemic heart disease, Type 1 diabetes, and cow milk A1 beta-casein.
Laugesen M, Elliott R.
Health New Zealand, Auckland, New Zealand. laugesen@healthnz.co.nz
PMID: 12601419 [PubMed - indexed for MEDLINE]
Medical Hypotheses 2001 Feb;56(2):262-72.
beta-casein A1, ischaemic heart disease mortality, and other illnesses.
McLachlan CN.
A2 Corporation Ltd, 29 Summer Street, Devonport, Auckland, New Zealand.
PMID: 11425301 [PubMed - indexed for MEDLINE]
Letzte Änderung am 04.12.2011